ungelenkes dreibeiniges Rhinozeros

Da war ein Kommentar im Spamordner. Da ich ehrlich gesagt viel zu selten hier vorbei schaue, hab ich nicht so furchtbar viel Übung im Kommentare-moderieren. Und diese roll-over-Sache ist auch nicht besonders hilfreich. Also… was ich sagen will: ich hab einen Kommentar gelöscht, der wahrscheinlich kein Spam war. Die Person meinte, wir hätten uns irgendwie schon kennengelernt (ich nehme an, im Internet — anderswo lerne ich nämlich eher selten
Leute kennen), und ich käme doch aus Berlin? Nun: ich komme nicht aus Berlin, war noch nie da.

Ich komme mir jetzt irgendwie doof vor, nach monatelanger Stille einen Blogeintrag wegen einer solchen Sache zu schreiben — aber immerhin schreibe ich überhaupt mal wieder etwas. Und wenn ich schon mal dabei bin, kann ich ja noch ein wenig weiter vor mich hin kritzeln. Kritzeln ist nicht das richtige Wort. Ich bin sicher, es gibt ein Wort dafür, mit Worten zu kritzeln.

So. Der Titel. Ungelenkes dreibeiniges Rhinozeros. Als Metapher für so ziemlich das ungeschickteste, das ich mir
vorstellen kann. Das Rhinozeros bin ich — ich verhalte mich oft so unglaublich unbeholfen, dass ich mich frage, wie ich es sechsundzwanzig Jahre ohne gröbere Unfälle durchs Leben geschafft habe. Haue mir schon morgens das Knie beim Aufstehen ans Bettgestell. Knalle mit dem Handgelenk gegen den Türrahmen und mit dem grossen Zeh gleich gegen den nächsten Türrahmen. Steuere die Schubkarre gegen die geschlossene Tür und hau mir den Griff in den Oberschenkel, knicke das Fussgelenk beim Reiten (!!) um, schlage mir beim Stallgasse-Fegen selber mit dem Besenstiel die Brille von der Nase und beim Absatteln den Sattelgurt ins Gesicht. Schneide mir mit ein und derselben Druckplatte erst in die Fingerkuppe und Sekundenbruchteile später ins Handgelenk, so dass es aussieht, als hätte ich versucht, mir die Hand abzusägen. Daher also der Titel. Trotteligkeit.

Weiter. Es gibt Zeug von mir, das will ich nie wieder lesen, sehen oder hören, nachdem ich es einmal geschrieben, gezeichnet oder gesagt habe. Mir jagen jedes Mal kalte Angstschauer über den Rücken, wenn ich wieder in einer Schachtel vollgeschriebene Blätter finde. Manchmal, und das muss ich auch gestehen, lese ich den Kram und denke «Wow. Das ist zehn Jahre her und ich denke noch genau so.» Dann fällt mir ein, dass man mit sechsundzwanzig vielleicht nicht mehr unbedingt denken sollte wie eine Sechzehnjährige — und dann fällt mir auf, dass es wahrscheinlich eher anders herum war: dass ich nicht mit sechzehn so hätte denken sollen, wie ich heute denke. Und dann. .. fällt mir auf, dass es überhaupt nicht gut ist, so zu denken, wie ich es damals und heute tat und tue. Und dann fällt mir ein, dass dieses «Denken» nie so funktioniert, wie es sollte. Man kaut stundenlang auf dem selben blöden Gedanken herum, wenn man eigentlich besser gar nicht denken, sondern handeln sollte und handelt, ohne auch nur bisschen zu überlegen, wenn man eigentlich wirklich besser ein wenig nachgedacht hätte.

Dann sind da die Gedichte. Ich bin meistens sehr vorsichtig damit, Zeug, das ich schreibe, überhaupt irgendwie anders zu nennen als Zeug; erstens weil Zeug ein unglaublich tolles und vielseitiges Wort ist und zweitens, weil ich der Meinung bin, das mein Geschreibsel keine Namen verdient. Mist, vielleicht. Aber sicher nicht Kurzgeschichte, Essay oder Gedicht. Wobei, von all dem wäre Gedicht noch am ehesten möglich. Vor allem, weil die Definition von Gedicht relativ viel Spielraum lässt. Danke dafür. So kann ich seltsame Zweizeiler Gedichte nennen und sie somit vom Zeug ein wenig hervorheben. Da sind zwei englische, die mir irgendwie besonders gefielen, die meine sind und die ich nie wieder loslassen möchte. Ich habe sie auf dem Computer meines Grossvaters mal getippt und ausgedruckt, als ich seinen Drucker reparieren musste, einfach nur, damit ich irgendwas zum testen ausdrucken konnte. Er hat sie ausgeschnitten und in seine Agenda geklebt und jedes Mal, wenn ich nun bei den Grosseltern zu Besuch bin, kramt er irgendwann ein paar seiner Gedichte hervor, die er uns dann vorliest (obwohl er seine Millionen von Gedichten alle auswendig kann). Und dann, zum Schluss liest er meine englischen vor. So sehr es mich auch freut, dass er sich freut, dass ich auch ab und zu etwas schreibe, so sehr geht es mir auf die Nerven, meine Worte von jemand anderem in Schweizer Englisch gesprochen zu hören. Es mag blöd klingen, aber einige Wortkombinationen sind einfach nicht zum hören gedacht. Oder zum sprechen. Sondern zum anschauen. Hier ist eine:

A piece of sky is reflecting in a dirty puddle
as I ride through the rain

(7. Januar 2008)

Das will ich einfach nicht gesprochen
hören. genau wie das hier:

so I tilted my head.
And everything looked different.

(30. März 2009)

Gut möglich, dass meine Ansichten ein wenig extrem sind. Bei anderen Sachen ist es mir egal, wie oft die einer vorliest, vor allem deutsche Texte, da stelle ich mir keine Stimme dabei vor, wenn ich sie schreibe. Wenn ich englisch schreibe, höre ich im Kopf die Melodie und die Aussprache und den Rhythmus der Worte und Silben. Und wenn das ausgesprochen dann nicht genau so klingt wie in meiner Vorstellung… finde ich das nicht toll. Andererseits gibt es sehr viel mehr deutschen Kram, den ich nie wieder sehen will. Weil… das geht irgendwie direkt in den Kopf der Leute, weil wir es gewohnt sind, deutsch zu lesen/hören/denken. Und oft finde ich das, was ich schreibe, zu spitz, zu giftig, zu aggressiv, um es ungefiltert auf andere (oder auf mich) loszulassen. Wenn ich etwas schreibe (oder manchmal auch, wenn ich bloss etwas sage), kann ich mir oft nicht helfen, danach eine unverhältnismässig lange Erklärung abzugeben, warum ich das so schrieb wie ich es schrieb, was es bedeuten soll und was nicht; klägliche Versuche, sicherzustellen, dass man mich versteht. Womit ich meistens noch mehr Verwirrung stifte. Darum schaue ich einmal geschriebenen Kram am liebsten nicht mehr an. Mit dem Englischen ist das anders. Ich verstecke mich hinter einer Fremdsprache, in der ich mich doch oft so viel besser ausdrücken kann als in meiner Muttersprache, weil durch die Übersetzung eine Art Puffer geschaffen wird. Auf englisch kann ich viel offener und ehrlicher schreiben, weil ich weiss, dass zumindest bei den nicht englischsprachigen Leuten die Schärfe durch die Rückübersetzung ins Deutsche gemildert wird. Zudem klingen für meine schweizer Ohren unanständige oder wüste Dinge nur noch halb so wüst — obwohl ich ganz genau weiss, was gemeint ist, wenn Noel Fielding «a bumming» sagt, laufe ich nicht rot an, wie ich das beim deutschen Ausdruck wohl würde. Wie ich jetzt von einem aus Versehen gelöschten Kommentar bei bumming angekommen bin, ist mir nicht mehr ganz klar, es sind nämlich unterdessen rund drei Stunden vergangen. Aber so geht das bei mir: Gedanken, die in meinem Schädel so schnell (Bock)sprünge vollführen, dass ich meistens selber nicht mehr folgen kann. Mühsam, manchmal. Aber dem luziden Träumen sehr hilfreich.

{und off. Träumen.}

{edit: ich wusste, da war etwas, das ich nicht vergessen wollte: keine Einträge mit der iPad WordPress-App editieren, weil sonst alle Umbrüche verloren gehen, verdammt!}

2 thoughts on “ungelenkes dreibeiniges Rhinozeros

  1. Eben darum lese ich Dein «Zeugs» so gern: Es IST ungefiltert und darum so nachvollziehbar und berührend.
    Mir selbst fällt es schwer, längere Texte zu schreiben, weil ich mich am Ende vor lauter Filtern nicht mehr darin erkenne.
    Schön, Dich mal wieder gelesen zu haben!

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