Gedichte schreiben.

Es gibt viele Dinge, die ich gut kann. Es gibt noch viel mehr, die ich ganz okay kann, um mal so ein richtig blödes Wort zu verwenden.

Ich kann ganz gut reiten, Armbänder knüpfen, erstaunlicherweise ganz gut kochen, mir selber die Haare ohne grössere Unfälle kunterbunt färben und manchmal auch schneiden, ich kann (oder konnte zumindest mal) Skifahren, Rollerbladen und Eislaufen. Ich kann Computer und allerlei Maschinen dazu bringen, das zu tun, was ich will, ich kann Leute zum lachen bringen, ohne dass ich es will und ich kann mir selber ohne Hilfe allerlei Zeug beibringen.

Natürlich gibt es auch vieles, das ich nicht kann. Flugzeuge steuern, Atombomben bauen oder ein Kleid entwerfen. Klavier spielen, Fisch kochen oder Auto fahren kann ich auch nicht. Und es stört mich nicht, dass ich nichts davon kann.

Ich kann allerdings auch nicht zeichnen, malen, oder auch nur etwas erkennbar skizzieren. Und ich kann keine Gedichte schreiben. Und das stört mich.

Diese letzten paar Zeilen sind nur bedingt wahr. Klar, ich kann einen Bleistift in die Hand nehmen und Linien zeichnen und mit viel Glück erkennt man dann auch, was ich gezeichnet habe, aber in der Regel sieht das Ergebnis aus wie von einem hypernervösen Gnu mit dem Huf in den Boden gescharrt. Ich denke ich kann’s nicht, darum tu ich es nicht, und weil ich es nicht mache, habe ich keine Übung und kann es nicht. Ein Teufelskreis.
Ungefähr einmal im Jahr gelingt mir eine Zeichnung so, dass sie mir selber gefällt.

Aber was ich wirklich nicht kann, ist Gedichte schreiben.
Gedichte sind literarische Kurz- und Kürzestformen. Und im Mich-kurz-Fassen war ich noch nie gut. Wenn alle anderen mit einem Wort auskommen, benutze ich fünf. Wenn etwas mit einem Satz gesagt sein könnte, brauche ich zehn. Das ist ein Grund, warum Gedichte und ich einander eher feindlich gesinnt sind.
Ein anderer Grund ist, dass keine Form des Schreibens so persönlich ist, wie die Poesie. Gerade weil Gedichte meist so komprimiert sind, treffen sie die Sache mitten ins Herz. Man zieht sich quasi nackt aus, wenn man Gedichte schreibt. Daher brauche ich wahrscheinlich auch gern so viele Worte: um meine Gefühle in Schichten aus Sätzen und Buchstaben zu packen und sie schallzudämpfen und nicht mit voller Wucht auf den Leser loszulassen. Um ihn zu schützen und um mich zu schützen. Ob es funktioniert, weiss ich allerdings nicht.

Von Stephen Fry gibt es ein Buch über das Gedichteschreiben. Mit Anleitungen und Hilfestellungen drin. Auf deutsch hat es den grauenvollen Titel «Feigen, die fusseln». Auf englisch heisst es «The Ode Less Travelled: Unlocking the Poet Within». Auch er findet, dass das Schreiben von Gedichten ein sehr intimer Akt ist und im Geheimen stattfinde, zumindest bei ihm. Und er sagt, dass er viele Gedichte geschrieben hat, die aber nie jemand zu Gesicht bekommen wird. «I have derived enormous private pleasure from writing poetry», sagt er. Poesie wecke das Biest, das in jeder britischen Brust wohne, das Biest namens Embarrassment, für das es irgendwie keine genau zutreffende deutsche Übersetzung gibt. «Verlegenheit» ist zu schwach, «Scham» irgendwie zu stark.
Wir schämen uns, zuzugeben, dass wir Gedichte schreiben, nicht nur die Briten, auch im deutschsprachigen Raum gesteht man ausser ausgewiesenen Poeten nur noch Teenagermädchen zu, dass sie Gedichte schreiben dürfen. Im verdunkelten Zimmer mit roter Tinte in rosa Tagebücher. Als normalunbegabter Mensch käme man nicht auf die Idee, irgendwem zu sagen, dass man Poesie schreibt, geschweige denn irgendwem die Ergebnisse zu lesen zu geben.

Aber wie dem auch sei, ich tue auch Dinge, die ich nicht kann. Also auch Gedichte schreiben. Gestern zum Beispiel war plötzlich eins da, in meinem Kopf, und wollte raus. Es ist grauenvoll geworden, aber vielleicht, wenn ich noch ein bisschen daran gearbeitet, es verstümmelt und neu zusammengesetzt habe, vielleicht ist es dann nicht mehr so schlimm.

{Das letzte brauchbare Gedicht schrieb ich vor zwei Jahren in Feldis. Ein Gedicht über Bosco, den Kater. Irgendwo in einem Notizbuch ist noch die Rohfassung davon, die Endfassung habe ich Boscos Besitzern überlassen, mitten auf den schönen alten Holztisch habe ich es gelegt und sie haben sich so gefreut, dass sie angerufen haben, um mir zu sagen, wie sehr es sie gefreut hat. Und dass es die Nachbarinnentante dazu inspiriert hat, auch selber wieder zu schreiben und zu malen.}

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