stadtnacht.

Da ist ein Bild in meinem Kopf, eine Szene, komplett … na ja, fast komplett erfunden.

Sommernacht, ich liege auf einem Sofa, das mir nicht gehört, in einer Wohnung, in der ich nicht lebe, in der ich nur zu Gast bin für eine Nacht, in einer Stadt, in der ich nicht zuhause bin.
Sie machte mir Angst, diese Stadt, als ich vorhin durchs ungemütlichste Viertel zu dieser Wohnung fahren musste, durch diese Donnerstagnacht, mit dem allerletzten Tram. Ich musste mitten durchs Rotlichtviertel laufen, weil kein Bus mehr fuhr und während ich mit hochgezogenen Schultern möglichst maskulin durch die Strassen schritt, dachte ich daran, dass ich vor zehn Jahren noch weniger Angst gehabt habe.
Unheimlich mutete sie an, die Tatsache, dass ich ausser ein paar Polizisten in Streifenwagen niemanden antraf auf dem Weg vom Club zum Limmatplatz, ich dachte daran, dass hier wahrscheinlich niemand mit dem letzten Tram nach Hause fährt und kurz dachte ich auch daran, was wohl hinter all den bunt verzierten Türen und Fenstern vor sich ging in genau dem Moment, als ich draussen vorbei lief und plötzlich wurde mir schlecht und ich wollte rennen, in Überschalltempo, rennen bis ich irgendwo auf einem Berg angekommen wäre. Ich beherrschte mich und ging rasch weiter, hoffend, dass ich nicht allzu lange aufs Tram würde warten müssen, denn da waren sie, die Leute, eine gar nicht so alte aber von Drogen zerfressene Frau mit einer verfilzten schwarzen Perücke auf dem Kopf, ein Mann in löchriger Kleidung und einer Bierdose in der Hand, eine Handvoll angetrunkener Jugendlicher und ein paar sogenannt normale Leute, die vielleicht wie ich von einem Konzert kamen oder von einer Spätschicht im Mc Donalds. Kaum je sass ich angespannter in einem Tram als in den folgenden fünf Minuten, obwohl jeder froh zu sein schien, wenn er in Ruhe gelassen wurde. Was lässt mich immer das Schlimmste erwarten?

Und nun liege ich also hier, auf diesem zugegebenermassen rasend unbequemen Sofa, während im Zimmer nebenan meine Gastgeberin wahrscheinlich schon längst schläft. Wie kann sie schlafen bei diesem Lärm? Ich weiss, dass sie, wenn ich sie morgen fragen werde, behaupten wird, das sei doch eine ausserordentlich stille Nacht gewesen. Als ich mich hingelegt und die Augen geschlossen hatte, dachte ich auch erst, es sei eine stille Nacht, wohl, weil ich vorher dermassen auf der Hut gewesen war, dass ich jedes Geräusch ums vielfache verstärkt wahrgenommen hatte. Als dann die Anspannung nachliess, konnte ich ihn kurzzeitig nicht mehr hören, den Lärm dieser elenden Stadt.

Die Dunkelheit fehlt, es ist ein Uhr nachts vorbei und noch immer brennt hier vor dem Wohnzimmer die schöne alte Strassenlaterne. Ich sehe den Beistelltisch und erkenne sogar ohne Brille die Konturen des antiken Sessels recht genau. Durch die offene Balkontüre weht ein lauer Wind und durchs offene Küchenfenster höre ich den Baum, der auf der anderen Seite des Hauses auf einer winzigen Wiese steht, in diesem lauen Wind sich bewegen. Das ist das einzige vertraute Geräusch.
Denn plötzlich haben sie mich fast erschlagen, die Geräusche dieser Stadt. Autorauschen als Hintergrundgeräusch, dazu, immer wenn man denkt, es werde jetzt endlich ruhig – Hundegebell. Eine ins Schloss fallende Tür. Ein Husten. Ein Zug. Ein Rattern des allerallerletzten Trams auf dem Weg ins Depot oder vielleicht schon wieder aus dem Depot, wie spät es ist, weiss ich ziemlich bald nicht mehr. Eine Sirene. Da, waren das Schüsse? Mehr Sirenen. Und dann: ein rhythmisches Quietschen eines Bettgestells aus der Wohnung im Stockwerk über diesem.

Der lange weisse Vorhang bäumt sich im Wind zu einem Ungetüm auf. Wie ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln steht er da im Raum und sieht irgendwie bedrohlich aus. Irgendwann schlafe ich ein und träume wirr von Trams, die entgleisen und die ich, einen weissen Vorhang wie ein Supermancape um den Hals tragend, vom Entgleisen abhalten soll.

 

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