Gestern noch dachte ich, dass es dieses Jahr wohl niemals Herbst wird. Gestern noch erschien mir die Welt so unverschämt grün, gestern noch roch es so stark nach Frühling, dass ich beinahe zu heulen anfing, weil ich den Frühling doch so sehr nicht mag, weil er mich jedes Jahr wieder daran erinnert, dass sich die Natur verändert, dass sie jedes Frühjahr aufs Neue erwacht und dass mit jedem neuen Jahr ein bisschen was anders wird, auch wenn das grosse Ganze unverändert scheint.
Er macht mich wahnsinnig, der Frühling, weil ich mich nicht ändere, weil ich seit zehn Jahren dieselbe bin und das selbe tue, jahrein, jahraus mache ich das selbe, die gleichen Hobbys – was sag› ich: DAS gleiche Hobby. Der selbe Beruf. Der gleiche Blödsinn. Und ich weiss, dass ich daran schuld bin, dass so alles so bleibt wie’s ist. Wer denn sonst?
Als ich nun gestern mit dem Monsterpferd den Waldrand entlang spazierte, hat ein Windstoss so starken Frühlingsgeruch in meine Nase geweht, dass ich tatsächlich ein paar Tränen wegblinzeln musste.
Auf den Wiesen wachsen Gänseblümchen und ich habe sogar zwei gelbe Löwenzahnköpfe entdeckt.
Und heute früh, als ich aus dem Haus kam, wehte so ein Wind, von dem ich wusste, das ist kein Frühlingswind. Nachdem ich ein paar hundert Meter gefahren war, merkte ich, dass sich die Natur über Nacht verändert hatte. Es musste schon die ganze Nacht gewindet haben. Die Bäume, die gestern noch ihr braungelbes Laub getragen hatten, standen nun nackt da. Die Wiesen, die mir gestern noch so unwahrscheinlich grün erschienen, waren über Nacht fast braun geworden.
Um acht schien vom Waldrand her ein wahnsinniges Licht über die Wiesen und den Reitplatz. Gelblich und leuchtend und in verrückten Farben, wie mit verschiedenen Filtern bearbeitet. Der Wind brachte abwechselnd kalte und sehr warme Böen, ein bisschen so, wie wenn man im Crestasee schwimmt.
Mehrmals wurden das Pferd und ich von einem Wirbel brauner Blätter verschluckt. Ich blinzelte wieder Tränen weg.
Und das war’s dann. Jetzt ist es Herbst, jetzt kommt der Regen, der Schneeregen, die Feuchtigkeit, die schmerzenden Knie. Jetzt kommt mein Herbsthass und meine Herbstliebe, jetzt kommt das Warumbinichheutmorgenaufgewachtichwillsterben und das HeiligeScheisseistdasLebennichtganzwunderbar??, sie werden sich abwechseln, sie werden ihren Kampf in meinem Kopf austragen und ich werde nichts dagegen tun können ausser mich ablenken mit allerlei Zeug.
Gerade sprang der Kater auf meine Knie. Aus unerfindlichen Gründen riecht er bereits nach Winter.