sagen, wie es ist.

{geschrieben am 7. August 2013}

Ich lese http://demenzfueranfaenger.wordpress.com/.

Zora schreibt, wie es ist.
Ähnlich wie ich, glaube ich. Ich schreibe auch, wie es ist, habe ich das Gefühl, während des Schreibens; ich schreibe, dass ich am Waldlang entlang ritt und dass da Mücken tanzten, beleuchtet von seltsam blauem Licht, und dann lese ich in einem Kommentar dass meine Welt zauberhaft erscheint und irgendwie unwirklich und ich kann mir nicht vorstellen, was die Kommentarschreiberin damit meint, weil ich das schliesslich ja alles so erlebt habe wie ich es aufgeschrieben habe, jedenfalls meistens und beinahe.
Mir fallen die kurzen Sätze auf. Sie gefallen mir. Sie gefallen mir umso mehr, weil ich kaum in der Lage bin, kurze Sätze zu schreiben; immer wieder ertappe ich mich dabei, absatzlange Sätze zu verfassen, weil ich denke, dass man mich nicht versteht, wenn ich mich nicht lang und breit erkläre, dabei irgendwie vergessend, dass ich potenzielle Leser wahrscheinlich eher verwirre, je mehr und je genauer ich schreibe, dabei sollte ich es eigentlich wissen, denn wenn ich rede, verhält sich das ja genau gleich. (Ja, der war jetzt absichtlich so lang.)

Ich habe Tränen in den Augen, während ich Zoras Blogeinträge lese. Obwohl oder vielleicht weil sie so «simpel» (mir fehlt das richtige Wort) schreibt. Weil, wahrscheinlich. Möglicherweise, weil ich zu verstehen glaube, warum das so ist: wenn man traurig ist, fasst man sich kurz. Da ist keine Energie vorhanden, um verschwurbelte, tränendrüsenreizende Sätze zu schreiben. Und doch legt sich beim Schreiben etwas in den Worten nieder, eine gewisse Schwere, eine Trauer, ein Gefühl, das man als Leser spürt.
Es ging mir nämlich gleich. Es geht mir gleich. Traurig bin ich eigentlich immer, auf irgendeine Art und Weise, aber manchmal vergesse ich es fast.

Am 1. August 2011 ist mein Grossvater gestorben, ziemlich überraschend, er war nämlich nicht krank und wir hatten alle damit gerechnet, dass die Grossmutter, die zu der Zeit seit fünf Monaten im Pflegeheim war, nachdem sie im Winter zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte, uns zuerst verlassen würde. Alle, ausser dem Grossvater selbst. Er hatte genau ein Jahr zuvor einen Brief samt Todesanzeige an seine vier Kinder geschickt, mit Anweisungen, was passieren sollte, wenn er stirbt. Und er liess keinen Zweifel daran, dass er als erster sterben würde.

Ich hätte gerne noch mehr Geschichten von ihm gehört. Alte Leute haben viel zu erzählen.

Weihnachten 2011 feierten wir zum letzten Mal als Familie (leider ohne Grossvater) im fast ausgeräumten Grosselternhaus. Esszimmer, Küche und Wohnzimmer waren noch unverändert, damit die Grossmutter noch einmal «nach Hause» kommen konnte, in das Haus, in dem sie mehr als 40 Jahre lang gewohnt hatte. Die oberen Zimmer waren bereits leer. Ich stieg die Treppe halb hinauf und kehrte dann wieder um.

Im letzten Dezember ist meine Grossmutter gestorben. Ich hielt ihre Hand. Dann ging ich zum Monsterpferd und habe seinen Hals nassgeheult. Wessen Hals heule ich nass, wenn das Monsterpferd mal stirbt?

Sagen, wie es ist. Eigentlich das einfachste auf der Welt. Warum haben viele Leute solche Angst davor? Vor allem, wenn es um den Tod geht. Haben sie Angst vor dem Tod? Das ist nicht nötig. Ich habe ihn gesehen. Ich habe ihm meine Grossmutter übergeben. Er hat sie mitgenommen. Sie hat sich nicht gewehrt. Er ist ein lieber Kerl.

{Ich vermisse sie, meine kleine zähe Toggenburger Grossmutter. Gerade jetzt vermisse ich sie so sehr, dass mir Tränen bis übers Herz laufen. Heisse, salzige Tränen. Ich vermisse sie, ich vermisse den Grossvater, ich vermisse seine Gedichte und seine Aquarellbilder und die alte Pendeluhr in der Grosselternstube. Ich vermisse Grossvaters schelmisches Grinsen, mit dem er mir seine englischen Gedichte vorlas, stolz auf sich selber, weil er mit dem Wörterbuch daran gefeilt hat, bis er die richtigen Worte gefunden hatte und ich vermisse Grossmutters liebevolle Schimpfe, eine Antwort auf Grossvaters spitzbübische Scherze. Ich vermisse sie beide gerade so fest, das mir vom Heulen die Kieferknochen schmerzen und ich vor lauter Wasser in den Augen die Worte auf dem Bildschirm nicht mehr sehe.
Es geht vorbei, das Vermissen. Aber es kommt wieder. So soll es auch sein. Und es wird einfacher, denke ich, irgendwann.}

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